Wer scheint heller - Gold oder Silber?
Gold-Silber-Ratio mit enormem Swing
Würde man nur den aktuellen Wert des Verhältnisses von Gold zu Silber (GSR) nehmen, welches aktuell bei gut 73 liegt, könnte man einen langfristigen Blick auf seine Entwicklung werfen und feststellen, dass dieses bereits in der Finanzkrise und im Durchschnitt auch danach auf diesem Niveau liegt. Ein seit Aufhebung der Goldbindung des US-Dollars 1971 berechneter Durchschnitt würde einen Wert von rund 60 ergeben, was auch nicht zu weit vom aktuellen Niveau entfernt ist.
Was also ist die News eines GSR von 70?
Zunächst einmal die Geschwindigkeit, mit der es auf 70 gefallen ist. Es kam nämlich von 126 und hat damit vom Top 44,44 % innerhalb weniger Wochen abgegeben. Zuvor war es allerdings fast ebenso stürmisch nach oben geschossen. Aber eben nur fast.
Der Schwanz wedelt immer (noch) mit dem Hund
Das Verhältnis 126 Unzen Silber für 1 Unze Gold sagt aber auch etwas über die Psyche des Durchschnittsinvestoren aus. Diese schien das weiße Metall geradezu zu verachten. Wie der Silberpreis an den Finanzmärkten zustande kommt, macht dabei nicht nur Anlegern zu schaffen. Der CEO von First Majestic Silver, Keith Neumeyer, wiederholt es wie eine Mantra und zu Recht: Der Schwanz (Silberpreis an der Börse) wackelt viel zu oft mit dem Hund (Produktion physischen Silbers).
Dass Neumeyer sich Anfang des Jahres weigerte, seine physischen Silberbestände zu dem an der Börse zusammengeschossenen Preis von rund 13 Dollar zu verschleudern, spricht nicht nur für sein Rückgrat und seine Weitsicht. Sie ist auch eine Abwehrreaktion des Hundes gegen den Schwanz!
Ein GSR von 70 ist deshalb zwar ein Indiz dafür, dass sich die extreme Unterschätzung und damit Unterpreisung von Silber gegenüber Gold etwas verbessert hat. Sie liegt aber noch weit von einem Niveau entfernt, welches sich plausibler aus der realen Produktion ergibt und nicht aus dem Wedel des Schwanzes.
Und aus der Tatsache, dass Silber weltweit je nach Abgrenzung in einem Abbauverhältnis zu Gold (Mining Ratio) von 9:1 und 15:1 gefördert wird, ergibt sich, dass die Beweislast bei jenen liegt, die ein GSR von 70 : 1 plausibilisieren wollen.
Dies kann man mit Änderungen der Nachfrage (Industrie, Investmentnachfrage) und des Angebots (Erzgehalte, Technologie, Erschöpfung von Lagerstätten, Neufunde, Produktionskosten mit Energie etc.) und natürlich den Bestimmungsgründen der Preisbildung an der Börse. Denn dort ist es möglich, Silber zu verkaufen, was man nicht (physisch) hat. Das Handeln von (Liefer-) Ansprüchen ist eine der Charakteristika der modernen Börse, aber gleichzeitig auch eine Art Zaubertrank dafür, dass der Schwanz überhaupt mit dem Hund wedeln kann.
Never promises to break, is like singing in the wind, or writing on the surface of a lake…
Dies war nicht immer so und könnte auch bald zu einem Moment der Wahrheit führen. Denn wenn die Käufer von Besitzrechten erfahren, dass ihnen dieser Besitz, etwa eine bestimmten Kontraktmenge Silber oder Gold, gar nicht verschafft werden kann, weil diese reale Menge Silber oder Gold gar nicht existiert, dann dürfte der Hund die Kontrolle über den Schwanz zurückerhalten und die Käufer unerfüllbarer Besitzversprechen einen Erweckungsmoment erleben.
Ein Indikator für diese Tendenz sind die Prämien bzw. Aufgelder, welche für genau diese Differenz zu zahlen sind, nämlich die Differenz zwischen dem Preis für (reales) Silber und dem (Börsen-) Silberpreis! Diese Prämien betrugen im Liquidations-Ausverkauf im März 2020 (siehe Chart 2) für Silber bis zu 8 US-Dollar bzw. 50 % des Börsenpreises.
Ein Blick auf die relative Entwicklung von Silber und Gold seit dem Corona-Liquidationsschock im März 2020 zeigt, dass Silber die schwächere relative Entwicklung gegen Gold mehr als aufgeholt hat. Einer der Gründe dafür ist auch, dass es zuvor tiefer gefallen war und nun einen Teil seiner ,,Underperformance‘‘ wieder aufgeholt hat.
Ein Fakt ist für die Perspektive hier hilfreich: Während Gold schon deutlich über seinem alten Allzeithoch von 1.921 Dollar notiert, liegt Silber nicht einmal bei der Hälfte dieses Wertes. Und in der Finanzkrise 2008/2009 erreichte das GSR einen Wert von 32!
Fazit
Silber fiel tiefer ins ,,Preisloch‘‘ und hat damit ein bedeutendes Aufholpotenzial geschaffen, welches insbesondere in der hohen Diskrepanz von realer Produktion und Preisverhältnis zu Gold liegt. Aus dieser Perspektive hat der Silberpreis absolut und relativ zu Gold noch viel Luft nach oben und damit auch das GSR noch viel Luft nach unten.
Man mag sich dabei kaum vorstellen, welche Wirkungen es hätte, sollte jemand laut über die Konfiskation oder eine zunehmende Monetarisierung von Gold und/oder Silber nachdenken. Die Digitalisierung des Geldes mit ihrem umfassenden Kontrollanspruch könnte sich dabei als Brandbeschleuniger im Investoren-Sentiment erweisen. Es lohnt sich deshalb, die weitere Diskussion wie auch relative Entwicklung von Silber gegenüber Gold nicht nur mit dem Gold-Silber-Ratio zu verfolgen, sondern auch mit dem kritischen gesunden Menschenverstand!
14.08.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de
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