Lange Zinsen – was sagt der Chart?
Langfristige Zinsen – USA und Deutschland im Vergleich
Die Entwicklung der Renditen der 10-jährigen deutschen und US-amerikanischen Staatsanleihen befinden sich in einer ausgeprägten Bodenbildung. Charttechnische Muster deuten darauf hin, dass diese Renditen im März 2020 mit dem Corona-Crash ihr Zyklustief erreicht haben und seither ihre Bodenbildung vollenden. Ein signifikanter Ausbruch steht aber noch aus. Zudem zeigt sich, dass eine mittelfristige Abkopplung der deutschen öffentlichen Renditen von den US-amerikanischen unrealistisch ist.
Die derzeitige Mehrheitsmeinung an den Märkten preist trotz des nach wie vor relativ dicken Prognose-Nebels eine ganz überwiegend störungsfreie Wachstumsphase für die USA und Deutschland ein. Zusammengefasst lautet diese, dass die Inflationsrate nur vorübergehend erhöht ist und bald wieder sinkt und dass die staatlichen Fiskalmaßnahmen auf beiden Seiten des Atlantiks der Privatwirtschaft eine ,,Trägerspannung‘‘ bescheren, die weitere Abstürze abfedert.
Was bedeutet dieses Szenario eigentlich für die langfristigen Zinsen?
Die Frage, auf welcher gleichgewichtigen Höhe die langen Zinsen im Kapitalmarkt-Gleichgewicht liegen sollten, ist ernsthafterweise nur ohne Intervention zu beantworten. Genau diese geschieht aber spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 permanent und seit der Ankündigung des damaligen EZB-Präsidenten Draghi im Juni 2012, den Euro mit allen Mitteln zu schützen, in historisch einmaliger Weise.
Im Ergebnis entspricht der aktuelle Zins höchstens noch zufällig dem theoretischen Gleichgewichtszins. Auffällig ist bei einem Vergleich der Zinsen 10-jähriger Staatsanleihen der USA und Deutschlands auch, dass die Rendite der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe schon kurz nach Draghis Versprechen dauerhaft unter ihren US-Pendanten fiel.
Ob dies nun Flucht-Kapitalströme aus der südlichen Euro-Peripherie in deutsche Staatsanleihen war oder Zuflüsse von außerhalb der Eurozone, kann an dieser Stelle offenbleiben. Im Ergebnis fielen die deutschen langen Renditen unter null und damit unter eine theoretisch wichtige Marke. Denn der natürliche Zins kann in einer gesunden Volkswirtschaft nicht null sein oder sogar darunterliegen.
Das absolute Zinsniveau langer deutscher Staatsanleihen und seine relative Verschiebung gegenüber jenem der USA zeigt den Interventionsdruck, der auf dem deutschen Zinsniveau lastet und damit auch das Ausmaß der ,,Unnatürlichkeit‘‘!
Ein Blick auf die Entwicklung der Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihe der letzten 55 Jahre zeigt links bis September 1981 stark steigende Zinsen, welche nicht zuletzt durch politische Unruhen im Nahen Osten und in der Folge explodierende Ölpreise ausgelöst wurden.
Mit der Politik des früheren FED-Chefs Paul Volcker, mit enormen Zinserhöhungen die hohen Inflationserwartungen zu senken, trat dann der Wendepunkt ein und eine nun bereits seit 40 Jahren währende langfristige Abwärtsbewegung der Zinsen begann. Im Zuge der Corona-Pandemie fiel die US-Rendite dann schließlich schnell in Richtung null, erreichte diesen Wert aber nicht und drehte nach Ankündigung der riesigen Ausgabenprogramme der Biden-Administration wieder nach oben.
Chart 3 zeigt die charttechnische Lage auf Monatscandle-Basis. Das Zwischentief vom Juli 2016 bei 1,336 % wurde dabei im Februar 2020 unterschritten, und einen Monat später wurde dann das bisherige Zyklustief mit 0,398 % erreicht. Nach Ankündigung der US-Konjunkturprogramme stieg die Rendite wieder über 1,336 % und konsolidiert seither diesen Anstieg oberhalb des Zyklustiefs vom Juli 2016.
Nun hat die Rendite eine Bodenformation in Form einer umgekehrten Schulter-Kopf-Schulter entwickelt. Sollte diese Mustervermutung zutreffen, steht mittelfristig nicht nur ein Anstieg in Richtung 2,5 5 an, sondern damit ginge auch ein Bruch der langfristigen Abwärtstrend-Linie einher.
Ein Blick auf die Rendite der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe zeigt nun, dass auch diese einen Boden gebildet hat, der qualitativ ebenfalls einer umgekehrten S-K-S-Formation entspricht, ansonsten aber eher einem dreifachen Boden ähnelt. Ein deutliches Überwinden der entsprechenden Nackenlinie, die dem Zyklustief vom Juli 2016 bei – 0,204 % entspricht, steht auch hier noch aus. Gleichwohl erscheint dieses Chartmuster anzudeuten, dass das absolute Tief vom März 2020 bei – 0,897 % auch das absolute Tief der gesamten Abwärtsbewegung sein könnte.
Und was ist das Fazit?
Die oben skizzierte Entwicklung zeigt zum einen, dass sich die langen öffentlichen Zinsen Deutschlands in ihrem Impulsmuster auf lange Sicht wie jene in den USA verhalten. Dies bedeutet aber auch, dass sich ein Zinsanstieg in den USA mittelfristig auch in Deutschland zu steigenden Zinsen führt. Gegen dieses harte Argument der Zinsparitäten-Theorie kann man nur noch stärkere Interventionen der EZB anführen. Dies bedeutet dann aber auch, dass die Zinsen in Deutschland noch weniger die reale Wirtschaftslage widerspiegeln.
Dass zumindest diese Überlegungen nicht ganz unberechtigt sind, zeigen die jüngsten Überlegungen der US-Investmentbank Goldman Sachs. Sie kalkuliert ihre Marktprognosen diesmal unter der Überschrift ,,What if we are wrong‘‘ und nimmt an, dass alle ihre Grundannahmen falsch sind. In ,,alternativlosen Zeiten‘‘ ist das ein erfrischender Gedanke.
28.06.2021 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de
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