als .pdf Datei herunterladen

Mercosur und die EU

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

 

Der brasilianische Präsident Bolsonaro und EU-Kommissionspräsident Juncker waren sich selten so einig: Es war ein historischer Moment! Und wirklich, die Meldung am Wochenende vom G20-Gipfel in Osaka überraschte: Die EU und der Mercosur (Mercado Común del Sur: Gemeinsamer Markt des Südens) mit seinen Mitgliedern Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay haben eine politische Einigung über ein ehrgeiziges, ausgewogenes und umfassendes Handelsabkommen erzielt. Hauptziel ist der weitgehende Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen wie etwa doppelten Zulassungsverfahren.

 

EU-Flagge

 

Der neue Handelsrahmen ist Teil eines umfassenderen Assoziierungsabkommens und wird eine politische und wirtschaftliche Partnerschaft von strategischer Bedeutung festigen und auf beiden Seiten erhebliche Chancen für nachhaltiges Wachstum schaffen. Gleichzeitig wird der Umweltschutz gewährleistet und bleiben die Interessen der Verbraucher und sensibler Wirtschaftszweige in der EU gewahrt. 260 Millionen Einwohner des Mercosur und 512 Millionen EU-Bürger ergeben den weltweit größten Freihandelsraum.

 

Freihandel in Zeitlupe

 

Klingt gut. Zu gut? Denn seit 1995, als beide Handelsblöcke ein Assoziierungsabkommen als Vorstufe eines Freihandelsabkommens unterzeichneten, ist viel Wasser den Rio de la Plata und den Rhein hinabgeflossen. Fast hätte man im Jahr 2004 die Verhandlungen erfolgreich beendet. Aber dann kam sie zurück, die europäische Angst vor südamerikanischen Agrarprodukten, und im Zuge dessen lehnten die Mercosur-Mitgliedsstaaten die Bedingungen der EU für den Marktzugang ab. Weshalb es auch nicht überraschte, dass am vergangenen Wochenende der Deutsche Bauernverband und die französische Bauerngewerkschaft FNSEA wegen hoher Standards eine Wettbewerbsverzerrung zulasten seiner Mitglieder befürchteten, während der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDA) frohlockte. Kein Wunder, fallen doch derzeit in Brasilien und Argentinien noch 35 % Importzölle für Autos an, die zukünftig wegfielen.

Der Deal ist offensichtlich, vor allem Rindfleisch- und Geflügelzüchtern sowie Zuckerproduzenten aus dem Mercosur leichteren Zugang zum EU-Binnenmarkt zu gewähren, während im Gegenzug die strategisch wichtige Autoindustrie aus der EU leichteren Marktzugang zum Mercosur erhält. Dieser soll der hochsubventionierten EU-Landwirtschaft mit Ausgleichszahlungen für die reklamierten Wettbewerbsverzerrungen schmackhaft gemacht werden. Ob das aber reicht, die Kostenvorteile der großflächigen Landwirtschaft des Mercosur, die bei Umweltschutzvorgaben und Konsumentenschutz auf mindestens einem Auge blind ist, dauerhaft zu kompensieren, bleibt mehr als fraglich.

 

Aber warum gerade jetzt?

 

Aber offensichtlich ging es hier um politisch Wichtigeres, denn die Argumente für Freihandel sind genauso wenig neu wie die seit Jahrzehnten bestehenden Interessenkonflikte. Vor allem der strategische Konflikt zwischen Argentinien und dem dominanten Brasilien ist dadurch noch nicht verschwunden. Was aber hat dann zu dem überraschenden Fortschritt geführt?

Nach dem Ende der peronistischen Regierung Kirchner und dem Antritt des neuen konservativen Präsidenten Macri in Argentinien im Dezember 2015 ergab sich eine Interessenkongruenz mit der brasilianischen Präsidentin Roussef und ihrem Nachfolger Temer, das Abkommen mit der EU erfolgreich abzuschließen. Dieses taktische Zeitfenster zum Abschluss kooperativer Handelsabkommen begann sich jedoch mit der Wahl von US-Präsident Trump im November 2016 zu schließen. Der aktuelle Deal zwischen der EU und Mercosur ist denn auch ein Wink mit dem Zaunpfahl an den Dealmaker in Chief, US-Präsident Trump. Sein von Protektionismus getragener und mit strategischer Handelspolitik angereicherter America-First-Ansatz ist einer der wichtigsten Treibladungen der EU-Mercosur-Einigung. Denn auch in Lateinamerika sieht man bange nach Washington.

Aber nicht nur das. Die Softpower-Angriffswellen chinesischer Außenhandelspolitik, die mal schnell auch Lateinamerika und Afrika zu Zielgebieten der neuen Seidenstraße erklären, haben in Buenos Aires und Montevideo ein mulmiges Gefühl der freundlichen Umarmung durch China hinterlassen, aus der man sich möglicherweise nicht mehr befreien kann, wenn man es wollte.

Da fällt eine Erinnerung an die Stammbäume der meisten Argentinier und Uruguayos leicht und ruft die Bedeutung und Funktion einer gemeinsamen Sprache, aber auch den Wert politischer Handlungsalternativen in Erinnerung. Dass dies in Brasilien mit seinen vielen Sklavenhistorien und in Paraguay mit einer Entrechtung seiner Guarani-Ureinwohner einen süßsauren Geschmack hat, darf niemanden verwundern. Es bleibt eine Aufgabe der ehemaligen Kolonialmächte Spanien und Portugal, sich diesbezüglich ehrlich zu machen. Wir werden sehen, ob die EU als Wertegemeinschaft auch in Südamerika lebensfähig ist.

 

Stabil genug?

 

Nächster Schritt soll nun die rechtliche Überarbeitung des vereinbarten Textes sein, um die endgültige Fassung des Assoziierungsabkommens und seiner handelsbezogenen Aspekte vorzulegen. So leicht, wie es klingt ist es aber nicht. Denn sollte der argentinische Präsident Macri im Oktober nicht wiedergewählt werden, wäre wohl wieder jene Peronistenpartei an der Macht, die das Abkommen jahrelang verzögert und Argentinien mit Zöllen abgeschottet hat. Mit dem Abkommen vom Wochenende hat er allerdings im Wahlkampf endlich wieder einen Erfolg zu verbuchen, was die Chancen auf eine Wiederwahl erhöhen dürfte. Denn ohne Hoffnung geht auch in Buenos Aires nicht viel. Dass Brasiliens Präsident Bolsonaro das Abkommen mitträgt, ist neben der Management-by-Holzhammer-Politik von US-Präsident Trump vor allem dem Umstand geschuldet, dass sein einflussreicher Wirtschaftsminister Paulo Guedes das Abkommen will.

Fazit: Die EU und Mercosur haben das Richtige getan, auch wenn das Abkommen durch die fehlende Ratifizierung noch nicht in trockenen Tüchern ist. Es ist aber eine der wenigen verbleibenden Gelegenheiten, Handelsregeln auf kooperativer Basis in substanziellem Umfang und mit politischer Strahlkraft auch für Dritte und damit potenzielle Neumitglieder einzurichten. Die politische Vorteilhaftigkeit, die Handelsregeln für ihre Nachhaltigkeit brauchen, ist derzeit noch gegeben. Wie sich diese beim Stresstest möglicher Handelskonflikte darstellt, steht auf einem anderen Blatt. Bis dahin aber sollte man sich an der Rückbesinnung auf die Vernunft freuen!

 

02.07.2019 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de





Ihre Bewertung, Kommentar oder Frage an den Redakteur


Bitte geben Sie die Anzahl der unten gezeigten Eurozeichen in das Feld ein.
>

 



Bewertungen, Kommentare und Fragen an den Redakteur

 

 

Haftungsausschluss - Die EMH News AG übernimmt keine Haftung für die Richtigkeit der Empfehlungen sowie für Produktbeschreibungen, Preisangaben, Druckfehler und technische Änderungen. (Ausführlicher Disclaimer)