Zur Struktur des Silberpreises
Eine Lanze für Silber
In den vergangenen Wochen ist viel darüber geschrieben worden, wie technisch angeschlagen der Silberpreis nach seinem Ausverkauf im März 2020 aussieht. Daneben wird auf die schwächere Wertentwicklung gegenüber Gold hingewiesen.
Und während das zweite Argument gilt, was alleine schon ein Blick auf das extreme Gold-Silber-Ratio zeigt, ist das erste eine Frage der Perspektive. Welche Indikatoren nutzt man für die Informationen, auf denen man seine Bewertung fußt? Und welcher Zeitraum generiert die Daten, die eine hohe Erklärungskraft haben?
Charts als geronnene Geschichte
Neben vielen dynamischen Indikatoren, die vor allem für reflexive Prozesse wie Kursbildung an den Finanzmärkten gelten, sollte man auch das Ergebnis nicht vergessen. Dieses Ergebnis sind Strukturen. Charts sind in dieser Sicht ,,geronnene Geschichte‘‘, die zwar nicht exakt sind, aber Muster in der Verarbeitung von Informationen und Handlungsschwellen widerspiegeln.
Da Silber keine Quartalsberichte abliefert, keine unfähigen Vorstandschefs regieren und sich auch die Homogenität des Gutes in der Regel nicht ändert, bleiben für die Erklärung vor allem marktspezifische Ansätze interessant, so etwa Behavioral Finance, also die Anwendung der Erkenntnisse der Psychologie auf die Ökonomie. Die in ihr thematisierten Heuristiken und Biase machen empirisch klar, warum die Trübungsanfälligkeit des charttechnisch relevant ist.
Marktmanipulation, CFTC und US-Kongress
Daneben spielt für Gold und Silber auch Marktmanipulation eine bedeutende Rolle, wie die in den entsprechenden Gerichtsverfahren vorgelegten Beweise zeigen. Hinzu kommt schließlich noch bei Silber die Marktmacht einzelner großer Marktteilnehmer wie JP Morgan. Nachdem die US-Börsenaufsicht CFTC die zuvor begonnenen Untersuchungen ohne Ergebnis 2013 einstellte, forderte der republikanische US-Kongressabgeordnete Alex X. Mooney mit Schreiben vom 05.02.2019 an den CFTC-Vorsitzenden J.C. Giancarlo, die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Er wies darauf hin, dass das US-Justizministerium entsprechendes Fehlverhalten von Marktteilnehmern ermittelt habe und die Ermittlungen deshalb fortsetzt. Mooney fragt die CFTC nun, wie diese vor diesem Hintergrund die Ermittlungen nicht wieder aufnimmt.
Dies zeigt, dass die Frage, ob der Silberpreis manipuliert wird, sehr aktuell und relevant ist. Ob dies nun durch Spoofing, wie gerichtlich festgestellt, oder auch durch hohe Marktkonzentration von Future- oder Optionspositionen, abläuft, kann hier offenbleiben.
Aber zurück zum Endergebnis, dem Chart des Silberpreises.
Die Tatsache, dass der Silberpreis im März unter sein Zyklustief vom Dezember 2015 bei 13,65 Dollar fiel, ist bei isolierter Betrachtung ein Verkaufssignal. Aber nichts ist an den Märkten isoliert zu betrachten, erst recht nicht, wenn man das zuvor Erwähnte annimmt. Nämlich, dass sich solche Kursstürze nicht nur aus dem Momentum von Zwangsliquidiationen bei Silber-Futures ergibt, sondern aus dem vorsätzlichen Verkauf von nicht gedeckten Silber-Verkaufspositionen.
Aus diesem Grunde sind bei längerfristiger Perspektive, welche eher Investoren interessiert als Trader, auch langfristig valide Signale relevant. Die Unterschreitung der Marke von 13,65 Dollar sollte also auch auf Monatsbasis bestätigt worden sein, damit man sie als langfristig für Investoren relevant erklärt.
Silber und der Slingshot Move
Wie wir bereits mehrfach beschrieben haben, ergibt sich eine Erklärung, in der eine weiter gültige langfristige Bodenbildung, ihr Abschluss und der Ausverkauf vom März 2020 miteinander in Übereinstimmung gebracht werden können, aus der Hypothese des ,,Slingshot Move‘‘. Dabei geht dem Abschluss der jahrelangen Bodenbildung bei Silber ein letzter Abwärtsimpuls voraus.
Dieser bedeutet aber im Ergebnis nur das Schwungholen für den Ausbruch über die oft erwähnte Marke von 21,13 Dollar. Diese Marke ist das Zyklushoch vom Juli 2016 und die Nackenlinie des seit 2013 gebildeten großen Konsolidierungsbodens.
Konsolidiert wurde der vorherige Anstieg auf rund 50 Dollar.
Es gibt aber noch mindestens ein weiteres Argument, warum der Sell-off vom März 2020 eine ,,Bärenfalle‘‘ sein könnte.
Wie Chart 1 zeigt, kam es nach dem starken Anstieg von Silber von rund 4,50 Dollar 2003 bis auf 20 Dollar Anfang 2008 zu einer scharfen Konsolidierung. Diese ließ den Silberpreis im Oktober 2008 wieder bis auf 8,45 Dollar zurückfallen.
Wichtig hierbei ist aber, dass dieser Ausverkauf im Finanzcrash 2008 genau 1 Cent oberhalb der Unterstützung halt machte, die sich aus dem Zwischenhoch vom April 2004 ergibt. Zudem bestand an diesem Punkt auch eine Kreuzunterstützung mit der mittelfristigen Aufwärtstrendlinie.
Daraus ergibt sich, dass das Korrekturtief oberhalb der Ausbruchslinie lag und der Ausbruch damit auch nicht entwertet wurde.
Ein Blick auf die Entwicklung seither zeigt, dass Silber über flacher werdende Abwärtstrendlinien gestiegen ist, die jeweils fraktal strukturbildend waren und einen strukturellen Aufwärtsimpuls vorbereiteten.
Wenn dem so ist, entwertet ein Unterschreiten auf Tages- und Wochenbasis nicht die ganze vorher gebildete Struktur. Und wie Chart 2 zeigt, machte der Ausverkauf im März 2020 genau auf der Abwärtstrendlinie halt, die sich aus dem mittleren Zeitraum ab Oktober 2012 ergibt. Und auf Monatsschlusskursbasis erholte sich Silber sogar wieder bis auf die deutlich flachere Abwärtstrendlinie, die ab dem Zyklushoch im Juli 2016 ihren Anfang nahm.
Und so, wie der Ausverkauf in der Finanzkrise 2008 nicht zu einem Bruch der Unterstützung bei 8,44 Dollar führte, führte der Ausverkauf im März 2020 Silber auch nicht unter das Tief von 2008! Damit gilt weiterhin die Annahme höherer Hochs und höherer Tiefs!
In den letzten Tagen ist der Silberpreis zudem auch wieder auf Tagesbasis über die Nackenlinie des kleinen Doppelbodens gestiegen. Dies zeigt, dass der Aufwärtsimpuls intakt ist.
Fazit
Auch ohne fundamentale Faktoren hat der Silberpreis eine erstaunliche strukturelle Stärke, die allerdings gegenüber Gold (noch) nicht sichtbar wird. Aber auch hier ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich. Denn zwar folgt Silber Gold zeitverzögert, aber es holt dieses Minus an ,,Performance‘‘ später wieder auf. Wer also an einen Ausbruch des Goldpreises auf neue Allzeithochs glaubt, der hat mit Silber einen faktischen Hebel, der zudem ohne Laufzeit und Aufgeld auskommt.
Die charttechnischen ,,blauen Flecke‘‘, die Silber im März abbekommen hat, sind dabei, zu verschwinden. Die Peitschenbewegung des ,,Slingshot Move‘‘ bekommt schließlich ihre Eigendynamik genau aus der Ungläubigkeit des Marktes, dass der Ausbruch (über 21,13 Dollar) passiert!
15.05.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de
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